ursundestherunterwegs

Friday, September 26, 2014

In den Appalachian Mountains

Da wir auf unserer Reise nicht auf einen funktionierenden Fotoapparat verzichten wollen, suchen wir nach einer Lösung. Im Visitor Center von Burlington vermittelt eine freundliche, furchtbar nervöse Dame ein Geschäft, das sich etwa 20 km östlich der Stadt befindet. Am nächsten Morgen fahren wir gleich dorthin – das Geschäft, ein Camera Repair Shop, - liegt auf unserer geplanten Route. Ein freundlicher kahlköpfiger Herr offeriert uns die Reparatur bis nächsten Samstag, d.h. wir müssten volle vier Tage warten. Nachdem er unsere Situation erfasst hat, ist er bereit, die Kamera bis zum Abend zu reparieren, allerdings zu einem Spezialpreis. Er hat gleich gesehen, dass der Sensor leicht verschmutzt ist. Beim Schliessen des Objektivs ist offenbar ein Stäubchen ins Gehäuse eingezogen worden. Wir ändern folglich unseren Plan und suchen uns einen Park in der Nähe, d.h. 30 km entfernt, an einem See aus. Wir haben Glück: ein absolut ruhiger Platz unter Bäumen in der Nähe eines Stausees, das Wasserreservoir des Städtchens Waterbury. Verschiedenartige Eichhörnchen rennen umher, klettern auf die Bäume, lassen Tannzapfen fallen, die sie dann am Boden flink aufheben und mit ihnen davonrennen.

Auf gut angelegten Wanderwegen spazieren wir durch den dunklen Wald. Das ganze Gebiet war im 19. Jahrhundert ‚erschlossen’: Strassen durchquerten das Gebiet. Auf kleineren Brücken, sogar gedeckten Brücken, wurden die vielen Wasserläufe überquert. Oft mussten diese nach den häufigen Hochwassern repariert werden. Der Wald wurde von den ersten Siedlern fast vollständig gerodet. Was wir heute noch sehen, ist lediglich Sekundärwald. Aus den Rinden wurde das für die Lederverarbeitung notwendige Tannin gewonnen. Eine Lederindustrie gab es im nahen Waterbury. Das Holz wurde flussabwärts geflösst. Es gab Kohlenmeiler, Sägemühlen, Bauernhöfe. Ein Almeron Goodell kaufte z.B. 1863 eine Farm, baute ein Haus und bedeckte das Dach mit Schindeln, die er selber herstellte. Mit vier Kühen, einem Pferd und einer Hühnerschar konnte er sich und seine Familie bis zu seinem Tod 1910 ernähren. Auch sein Sohn Bert kaufte sich 1892 ein Farmhaus. Die Häuser waren einfach gebaut und schlecht isoliert. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert! Bis zu 40 Klafter Holz benötigte ein Haus für Heizung und Küche. Holz war aber genügend vorhanden.

Am Abend fahren wir halt nochmals zurück zum Kahlkopf, dem wir unendlich dankbar sind und für die Reparatur die $ 99 gerne bezahlen. Und wir hoffen natürlich, dass die Kamera bis zum Ende unserer Reise hält, um die Leser weiterhin mit Bildmaterial zu versorgen. Sonst müssten wir Ansichtskarten schreiben!

Fahrt durch Vermont ....
Am nächsten Morgen sehen wir auf unserem Stellplatz wiederum eine frische Hinterlassensschaft, die auf die Anwesenheit eines Bären schliessen lässt. Wir hoffen, bald mal einen zu sehen. Nachdem wir aber in der NZZ am 25.9. gelesen haben, dass ein Wanderer nur 60 km nördlich von Manhattan von einem Bären getötet wurde, ist unser Wunsch nach einer Begegnung nicht mehr so innig.
Auf der # 100, einem Scenic Byway, geht es südwärts in die Green Mountains. Die Wälder sind aber nicht grün: sie leuchten unter der wärmenden Mittagssonne in allen Farbtönen von gelb über orange bis tiefrot. Wir fahren stets malerischen Flussläufen entlang, durch landwirtschaftlich genutzte Ebenen, die von Hügeln und Viertausendern (in Fuss! d.h. ca 1300 m Höhe) umsäumt sind. Die grossen Skigebiete beginnen bereits ab einer Höhe von 500 m!

Wir sehen Stachelschweine, Waschbären, Dachse und viele weitere kleine Tiere, leider aber nur an den Strassenrändern, Opfer des Strassenverkehrs. Gegen Abend aber ist am Rand der Autobahn ein ganzes Rudel äsende Hirsche zu sehen.
Wiederum fahren wir durch eine Ortschaft mit Namen Woodstock hindurch, ein hübsches, gepflegtes Städtchen mit baumbestandenen Strassen. Am Rande dieses Städtchens ist der ca. 5 km2 grosse Landsitz der Familie Rockefeller zu besichtigen, welcher der erste Nationalpark des Staates Vermont wurde. Laurance S. Rockefeller war nicht nur Berater von fünf amerikanischen Präsidenten. Er schuf oder förderte die Schaffung von über 20 Nationalpärken.      
Kurz nach Woodstock besichtigen wir die Quechee Gorge. Die Strassenbrücke  überspannt die Schlucht auf gut 50 m Höhe. Zu beiden Seiten gibt es einen Weg, der jeweils bis zum Fluss mit dem unaussprech­lichen Namen Ottauquechee hinunter­führt. Die Sonne scheint wunderbar warm. Die grössere Ortschaft White River ist in den Wäldern kaum auszumachen. Die Häuser sind fast durchwegs versteckt in den dichten Baumbeständen.

... und durch New Hampshire
In Wells River, einem ehemaligen Eisenbahnknotenpunkt, überqueren wir die Staatsgrenze. In New Hampshire dieselbe Landschaft wie in Vermont. Auch hier das übliche Wetter: vormittags kühler Nebel, ab Mittag warmer Sonnenschein.
Am Freitag aber fahren wir bei strahlendem Sonnenschein ostwärts auf dem Kancamagus Highway, so genannt nach einem Indianerführer, der 16 Stämme vereinte (sein Name bedeutet der Furchtlose), nachdem wir in einem National Forest übernachtet haben. Für die 32 Meilen Meilen lange Fahrt benötigen wir sechs Stunden, weil wir an vielen schönen Aussichtspunkten einen Fotohalt einschalten und kleine Spaziergänge machen.
Wir hoffen, dass das Wetter auch morgen wieder strahlend ist, wenn wir mit der Cog Railway, einer von einer Dampflok gestossenen Zahnradbahn, auf den höchsten Gipfel des Staates, den Mount Washington, fahren werden. Der Kessel der Lok ist schief angeordnet, damit die Kohle nicht vom Rost fällt. Der Gipfel ist zwar nur 1800 m hoch, aber sehr exponiert. Am 12. April 1934 wurde hier mit 372 km/h die bis 1996 weltweit höchste Windgeschwindigkeit gemessen. Im Winter – oft schon im Herbst, wenn es im Tal noch weit über 0 °C ist – werden Temperaturen von −40 °C und darunter gemessen.

Wälder in den USA in Zahlen
Ein Drittel der Landfläche der USA ist bewaldet, 2.95 Mio km2.
Im Staate Maine ist fast die Hälfte, nämlich 40'000 km2 , unbewohntes Land.
Ein Drittel des Waldes der USA gehört seit 1916 dem Staat; z.g.T. vom U.S. National Forest Service unterhalten bzw. genutzt: Bergbau, Öl- und Gasgewinnung; Wintersport (137 Orte), Schneemobilrennen, Holzwirtschaft. Es gibt 608'315 km Forststrassen!! Das Ziel: bis 2050 weitere 933'400 km Strassen bauen.
Bis Anfang 19. Jh. waren Pumas, Wapitis (grosse Hirsche) und Timberwölfe ausgerottet. Die meisten grossen nordamerikanischen Kiefern (Mastbaumkiefer, die bis 70 m hohe Weymouthskiefer) waren gefällt: Schiffsmasten für die englische Flotte, Weideland. 200-jährige Pecannussbäume wurden einfach umgeschlagen, weil so die Nüsse bequemer zu ernten waren. Wir sehen im Gebiet des Kanacamagus Highways riesige Waldgebiete, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollständig abgeholzt waren. Auf dem ehemaligen Trassee einer Eisenbahnlinie – Holzschwellen sind teilweise noch vorhanden – wandern wir einem Fluss entlang. Es gab Dutzende von Camps, Holzfällerlager, die mit einer von der Stadt Lincoln und im Osten von Conway ausgehenden Eisenbahnlinie erschlossen wurden. Die Arbeiter mussten unter erbärmlichen Bedingungen für die Holzbarone schuften. Ein 18-jähriger aus Quebec fand 1927 hier eine Stelle als Hilfskoch. Er arbeitete 19-20 Stunden am Tag, sieben Tage pro Woche zu einem Tageslohn von 1 Dollar!
Wir erfahren auch vieles über die ersten Siedler, die in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts hier Landwirtschaft betrieben, meistens erfolglos. Um die Jahrhundertwende begann man, den Wald systematisch zu roden. Eisenbahnlinien wurden gebaut, um das Holz zu den grossen Flüssen zu transportieren, wo es dann weiter geflösst wurde. Um 1900 waren nur noch die Berggipfel bewaldet. Auf den Druck der einheimischen Bevölkerung verabschiedete der Staat schliesslich 1916 ein Gesetz, welches diesem Raubbau ein Ende setzte und einen Grossteil der Wälder verstaatlichte – es gab sowieso kaum mehr Holz zu schlagen! Der üppige Wald, durch den wir wandern, ist also knapp 100 Jahre alt.

Leider gibt es einen Baum, der einst einen Viertel der gesamten Baumbestände ausmachte, nicht mehr zu sehen: die riesige weitausladende amerikanische Kastanie (30 m hoch, 3 m Durchmesser) ist vollständig verschwunden. 1904 entdeckte man im Zoo der Bronx in New York, dass die Kastanienbäume kleine, orangefarbige, krebsartige Geschwüre aufwiesen. Innerhalb weniger Wochen starben alle Bäume. Ursache war ein asiatischer Pilz (Endothia parasitica), der vermutlich mit einer Schiffsladung infizierter Bäume oder Bretter aus dem Orient eingeschleppt wurde: Innerhalb von 35 Jahren sind vier Milliarden Kastanienbäume abgestorben.

Der Appalachian Trail
Immer wieder stossen wir auf Trailheads, d.h. Plätze, von denen aus man auf den ältesten zusammenhängenden Wanderweg der USA stossen kann. Er durchzieht die Appalachen vom Springer Mountain in Georgia bis zum Mount Katahdin in Maine, misst rund 3500 km und wurde in den Jahren 1925-1937 fertiggestellt.
Der Weg verläuft fast durchwegs im dunklen Wald und ist z.T. schlecht unterhalten. 1948 hat ihn V. Shaffer als erster innerhalb 127 Tagen mit einem Tagespensum von 17 Meilen durchwandert. Mit 70 Jahren schaffte er diese Strecke nochmals – diesmal von Norden nach Süden. Bis heute sind es gut 15’000 Leute, die diese Strapaze auf sich genommen haben. Einen amüsanten Bericht liefert Bill Bryson in seinem 1998 veröffentlichten Buch ‚Picknick mit Bären’.
Landschaftlich reizvoller ist sicher der Pacific Crest Trail, der im Westen der USA von der mexikanischen bis zur kanadischen Grenze führt und erstmals vor 10 Jahren in 6 Monaten durchwandert wurde (160'000 Höhenmeter!). Zwei solchen Wanderern  begegneten wir im September 2006 im Nordwesten der USA am Mount Hood.

Eine der zahllosen Kirchlein ...

 ... und Friedhöfe

ein typisches Landhaus

Morgenstimmung am Little River Campground


am Quechee Gorge


 Impressionen vom Kancamagus Highway








Das traditionelle Bretton Woods Hotel mit dem Mount Washington. Die Schneise, in der die Cog Railway den Berg hinauf fährt, ist deutlich sichtbar.


1 Comments:

At 11:15 AM, Anonymous Mela said...

das sind ja einfach wahnsinnsbilder! sieht wunderschön aus, euer herbst! küsschen overseas!

 

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