In den Appalachian Mountains
Da wir auf unserer Reise nicht auf einen
funktionierenden Fotoapparat verzichten wollen, suchen wir nach einer Lösung.
Im Visitor Center von Burlington vermittelt eine freundliche, furchtbar nervöse
Dame ein Geschäft, das sich etwa 20 km östlich der Stadt befindet. Am nächsten
Morgen fahren wir gleich dorthin – das Geschäft, ein Camera Repair Shop, -
liegt auf unserer geplanten Route. Ein freundlicher kahlköpfiger Herr offeriert
uns die Reparatur bis nächsten Samstag, d.h. wir müssten volle vier Tage warten.
Nachdem er unsere Situation erfasst hat, ist er bereit, die Kamera bis zum
Abend zu reparieren, allerdings zu einem Spezialpreis. Er hat gleich gesehen,
dass der Sensor leicht verschmutzt ist. Beim Schliessen des Objektivs ist
offenbar ein Stäubchen ins Gehäuse eingezogen worden. Wir ändern folglich
unseren Plan und suchen uns einen Park in der Nähe, d.h. 30 km entfernt, an
einem See aus. Wir haben Glück: ein absolut ruhiger Platz unter Bäumen in der
Nähe eines Stausees, das Wasserreservoir des Städtchens Waterbury.
Verschiedenartige Eichhörnchen rennen umher, klettern auf die Bäume, lassen
Tannzapfen fallen, die sie dann am Boden flink aufheben und mit ihnen
davonrennen.
Auf gut angelegten Wanderwegen spazieren wir
durch den dunklen Wald. Das ganze Gebiet war im 19. Jahrhundert ‚erschlossen’:
Strassen durchquerten das Gebiet. Auf kleineren Brücken, sogar gedeckten
Brücken, wurden die vielen Wasserläufe überquert. Oft mussten diese nach den
häufigen Hochwassern repariert werden. Der Wald wurde von den ersten Siedlern fast
vollständig gerodet. Was wir heute noch sehen, ist lediglich Sekundärwald. Aus
den Rinden wurde das für die Lederverarbeitung notwendige Tannin gewonnen. Eine
Lederindustrie gab es im nahen Waterbury. Das Holz wurde flussabwärts geflösst.
Es gab Kohlenmeiler, Sägemühlen, Bauernhöfe. Ein Almeron Goodell kaufte z.B.
1863 eine Farm, baute ein Haus und bedeckte das Dach mit Schindeln, die er
selber herstellte. Mit vier Kühen, einem Pferd und einer Hühnerschar konnte er
sich und seine Familie bis zu seinem Tod 1910 ernähren. Auch sein Sohn Bert
kaufte sich 1892 ein Farmhaus. Die Häuser waren einfach gebaut und schlecht
isoliert. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert! Bis zu 40 Klafter Holz
benötigte ein Haus für Heizung und Küche. Holz war aber genügend vorhanden.
Am Abend fahren wir halt nochmals zurück zum
Kahlkopf, dem wir unendlich dankbar sind und für die Reparatur die $ 99 gerne
bezahlen. Und wir hoffen natürlich, dass die Kamera bis zum Ende unserer Reise
hält, um die Leser weiterhin mit Bildmaterial zu versorgen. Sonst müssten wir
Ansichtskarten schreiben!
Fahrt
durch Vermont ....
Am nächsten Morgen sehen wir auf unserem
Stellplatz wiederum eine frische Hinterlassensschaft, die auf die Anwesenheit
eines Bären schliessen lässt. Wir hoffen, bald mal einen zu sehen. Nachdem wir
aber in der NZZ am 25.9. gelesen haben, dass ein Wanderer nur 60 km nördlich
von Manhattan von einem Bären getötet wurde, ist unser Wunsch nach einer
Begegnung nicht mehr so innig.
Auf der # 100, einem Scenic Byway, geht es
südwärts in die Green Mountains. Die Wälder sind aber nicht grün: sie leuchten
unter der wärmenden Mittagssonne in allen Farbtönen von gelb über orange bis
tiefrot. Wir fahren stets malerischen Flussläufen entlang, durch
landwirtschaftlich genutzte Ebenen, die von Hügeln und Viertausendern (in Fuss!
d.h. ca 1300 m Höhe) umsäumt sind. Die grossen Skigebiete beginnen bereits ab
einer Höhe von 500 m!
Wir sehen Stachelschweine, Waschbären, Dachse
und viele weitere kleine Tiere, leider aber nur an den Strassenrändern, Opfer
des Strassenverkehrs. Gegen Abend aber ist am Rand der Autobahn ein ganzes
Rudel äsende Hirsche zu sehen.
Wiederum fahren wir durch eine Ortschaft mit
Namen Woodstock hindurch, ein hübsches, gepflegtes Städtchen mit
baumbestandenen Strassen. Am Rande dieses Städtchens ist der ca. 5 km2
grosse Landsitz der Familie Rockefeller zu besichtigen, welcher der erste
Nationalpark des Staates Vermont wurde. Laurance S. Rockefeller war nicht nur
Berater von fünf amerikanischen Präsidenten. Er schuf oder förderte die
Schaffung von über 20 Nationalpärken.
Kurz nach Woodstock besichtigen wir die Quechee Gorge. Die Strassenbrücke überspannt die Schlucht auf gut 50 m Höhe. Zu
beiden Seiten gibt es einen Weg, der jeweils bis zum Fluss mit dem unaussprechlichen
Namen Ottauquechee hinunterführt. Die Sonne scheint wunderbar warm. Die
grössere Ortschaft White River ist in den Wäldern kaum auszumachen. Die Häuser
sind fast durchwegs versteckt in den dichten Baumbeständen.
... und
durch New Hampshire
In Wells River, einem ehemaligen
Eisenbahnknotenpunkt, überqueren wir die Staatsgrenze. In New Hampshire
dieselbe Landschaft wie in Vermont. Auch hier das übliche Wetter: vormittags
kühler Nebel, ab Mittag warmer Sonnenschein.
Am Freitag aber fahren wir bei strahlendem
Sonnenschein ostwärts auf dem Kancamagus
Highway, so genannt nach einem
Indianerführer, der 16 Stämme vereinte (sein Name bedeutet der Furchtlose),
nachdem wir in einem National Forest übernachtet haben. Für die 32 Meilen
Meilen lange Fahrt benötigen wir sechs Stunden, weil wir an vielen schönen Aussichtspunkten
einen Fotohalt einschalten und kleine Spaziergänge machen.
Wir hoffen, dass das Wetter auch morgen wieder
strahlend ist, wenn wir mit der Cog Railway, einer von einer Dampflok
gestossenen Zahnradbahn, auf den höchsten Gipfel des Staates, den Mount Washington, fahren werden. Der Kessel der Lok ist schief
angeordnet, damit die Kohle nicht vom Rost fällt. Der Gipfel ist zwar nur 1800
m hoch, aber sehr exponiert. Am 12. April 1934 wurde hier mit 372 km/h die
bis 1996 weltweit höchste Windgeschwindigkeit gemessen. Im Winter – oft
schon im Herbst, wenn es im Tal noch weit über 0 °C ist – werden
Temperaturen von −40 °C und darunter gemessen.
Wälder
in den USA in Zahlen
Ein Drittel der Landfläche der USA ist bewaldet,
2.95 Mio km2.
Im Staate Maine ist fast die Hälfte, nämlich 40'000
km2 , unbewohntes Land.
Ein Drittel des Waldes der USA gehört seit
1916 dem Staat; z.g.T. vom U.S. National Forest Service unterhalten bzw.
genutzt: Bergbau, Öl- und Gasgewinnung; Wintersport (137 Orte),
Schneemobilrennen, Holzwirtschaft. Es gibt 608'315 km Forststrassen!! Das Ziel:
bis 2050 weitere 933'400 km Strassen bauen.
Bis Anfang 19. Jh. waren Pumas, Wapitis
(grosse Hirsche) und Timberwölfe ausgerottet. Die meisten grossen
nordamerikanischen Kiefern (Mastbaumkiefer, die bis 70 m hohe Weymouthskiefer)
waren gefällt: Schiffsmasten für die englische Flotte, Weideland. 200-jährige
Pecannussbäume wurden einfach umgeschlagen, weil so die Nüsse bequemer zu
ernten waren. Wir sehen im Gebiet des Kanacamagus Highways riesige Waldgebiete,
die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollständig abgeholzt waren. Auf dem
ehemaligen Trassee einer Eisenbahnlinie – Holzschwellen sind teilweise noch
vorhanden – wandern wir einem Fluss entlang. Es gab Dutzende von Camps,
Holzfällerlager, die mit einer von der Stadt Lincoln und im Osten von Conway ausgehenden
Eisenbahnlinie erschlossen wurden. Die Arbeiter mussten unter erbärmlichen
Bedingungen für die Holzbarone schuften. Ein 18-jähriger aus Quebec fand 1927
hier eine Stelle als Hilfskoch. Er arbeitete 19-20 Stunden am Tag, sieben Tage
pro Woche zu einem Tageslohn von 1 Dollar!
Wir erfahren auch vieles über die ersten
Siedler, die in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts hier Landwirtschaft
betrieben, meistens erfolglos. Um die Jahrhundertwende begann man, den Wald
systematisch zu roden. Eisenbahnlinien wurden gebaut, um das Holz zu den
grossen Flüssen zu transportieren, wo es dann weiter geflösst wurde. Um 1900
waren nur noch die Berggipfel bewaldet. Auf den Druck der einheimischen
Bevölkerung verabschiedete der Staat schliesslich 1916 ein Gesetz, welches
diesem Raubbau ein Ende setzte und einen Grossteil der Wälder verstaatlichte –
es gab sowieso kaum mehr Holz zu schlagen! Der üppige Wald, durch den wir
wandern, ist also knapp 100 Jahre alt.
Leider gibt es einen Baum, der einst einen
Viertel der gesamten Baumbestände ausmachte, nicht mehr zu sehen: die riesige
weitausladende amerikanische Kastanie (30 m hoch, 3 m Durchmesser) ist vollständig
verschwunden. 1904 entdeckte man im Zoo der Bronx in New York, dass die
Kastanienbäume kleine, orangefarbige, krebsartige Geschwüre aufwiesen.
Innerhalb weniger Wochen starben alle Bäume. Ursache war ein asiatischer Pilz
(Endothia parasitica), der vermutlich mit einer Schiffsladung infizierter Bäume
oder Bretter aus dem Orient eingeschleppt wurde: Innerhalb von 35 Jahren sind
vier Milliarden Kastanienbäume abgestorben.
Der
Appalachian Trail
Immer wieder stossen wir auf Trailheads, d.h.
Plätze, von denen aus man auf den ältesten zusammenhängenden Wanderweg der USA
stossen kann. Er durchzieht die Appalachen vom Springer Mountain in Georgia bis
zum Mount
Katahdin in Maine,
misst rund 3500 km und wurde in den Jahren 1925-1937 fertiggestellt.
Der Weg verläuft fast durchwegs im dunklen Wald
und ist z.T. schlecht unterhalten. 1948 hat ihn V. Shaffer als erster innerhalb
127 Tagen mit einem Tagespensum von 17 Meilen durchwandert. Mit 70 Jahren
schaffte er diese Strecke nochmals – diesmal von Norden nach Süden. Bis heute
sind es gut 15’000 Leute, die diese Strapaze auf sich genommen haben. Einen
amüsanten Bericht liefert Bill Bryson in seinem 1998 veröffentlichten Buch ‚Picknick
mit Bären’.
Landschaftlich reizvoller ist sicher der Pacific
Crest Trail, der im Westen der USA von der mexikanischen bis zur kanadischen
Grenze führt und erstmals vor 10 Jahren in 6 Monaten durchwandert wurde
(160'000 Höhenmeter!). Zwei solchen Wanderern begegneten wir im September 2006 im Nordwesten
der USA am Mount Hood.
Eine der zahllosen Kirchlein ...
... und Friedhöfe
ein typisches Landhaus
Morgenstimmung am Little River Campground
am Quechee Gorge
1 Comments:
das sind ja einfach wahnsinnsbilder! sieht wunderschön aus, euer herbst! küsschen overseas!
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